Vorschlagsrecht für Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat setzt Tarifzuständigkeit voraus

"Eine mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit im Betrieb vertretene Gewerkschaft im Sinne des §§ 16 Abs 1,7 Abs 5 MitbestG liegt vor, wenn wenigstens ein Arbeitnehmer des betroffenen Unternehmens ihr Mitglied ist und - anders als im Betriebsverfassungsrecht - die Gewerkschaft für das betreffende Unternehmen auch tarifzuständig ist, also zu ihrem Organisationsbereich gehört. Das Mitbestimmungsgesetz fordert einen Bezug der Gewerkschaft zum Unternehmen und nicht nur zu einzelnen Mitarbeitern."

Quelle: Arbeitsgericht Stuttgart, Beschluss vom 29. Mai 2018 – 32 BVGa 8/18 - Orientierungssatz - juris.

Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte sich mit einer umstrittenen Frage zum Vorschlagsrecht der Gewerkschaften bei einer Aufsichtsratswahl nach dem MitbestG zu befassen. Nach §§ 7 Abs. 2, 16 Abs. 1 MitbestG müssen sich unter den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat - je nach Größe des Aufsichtsrats - zwei oder drei Vertreter von Gewerkschaften befinden. Vorschlagsberechtigt sind nach § 16 Abs. 1 MitbestG im Unternehmen vertretene Gewerkschaften. Ob über das Vertretensein im Unternehmen hinaus für eine Vorschlagsberechtigung der Gewerkschaft auch ihre Tarifzuständigkeit erforderlich ist, wird unterschiedlich bewertet. Die wohl überwiegende Meinung hat bisher die Tarifzuständigkeit als Voraussetzung für das Vorschlagsrecht abgelehnt (Henssler in: Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 7 Rn. 75). Dagegen verweist Wißmann (Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, § 7 Rn. 55) darauf, dass das Unternehmen zum Organisationsbereich der Gewerkschaft gehören müsse und damit die Tarifzuständigkeit gegeben sein müssen.

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat sich letzterer Auffassung angeschlossen. Das Mitbestimmungsgesetz fordere einen Bezug der Gewerkschaft zum Unternehmen und nicht lediglich zu den Arbeitnehmern. Im entschiedenen Fall hatte die Gewerkschaft argumentiert, im Unternehmen würden Leiharbeitnehmer eingesetzt, für die die Gewerkschaft tarifzuständig sei. Tatsächlich war die Gewerkschaft gemäß ihrer Satzung örtlich nur für die Freie und Hansestadt H. zuständig. Dort hatte das Unternehmen, in dem der Aufsichtsrat gewählt werden sollte, aber keine Betriebe.

Praxishinweis:

In der Praxis wird regelmäßig eine Gewerkschaft nur dann Wahlvorschläge für eine Aufsichtsratswahl machen, wenn sie nach ihrer Satzung auch tarifzuständig ist. Dass es aber doch zu Streitfällen kommen kann, zeigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart. Von größere Praxisrelevanz sind die Ausführungen des Gerichts zur Möglichkeit, im Rahmen eines laufenden Wahlverfahrens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Fehler im Wahlverfahren gerichtlich geltend zu machen, um spätere Anfechtungsverfahren zu vermeiden.