Die Betriebsvereinbarung


Die Betriebsvereinbarung ist das wohl häufigste und praktisch wichtigste Instrument, mit dem die Betriebsparteien die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer sowie die betriebliche Organisation und Ordnung einvernehmlich festlegen. Bei einer Betriebsvereinbarung handelt es sich um einen formgebundenen, zweiseitigen kollektiven Normenvertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, den diese im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben abschließen. Die Betriebsvereinbarung gilt gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG für die Arbeitnehmer in ihrem Anwendungsbereich unmittelbar und zwingend. In der arbeitsrechtlichen Normenhierarchie ist die Betriebsvereinbarung zwischen dem Arbeitsvertrag und dem Tarifvertrag anzusiedeln. Sie ist auszulegen wie ein Gesetz. Damit ist primär ihr Wortlaut ausschlaggebend. Ist dieser nicht eindeutig, so ist der wirkliche Willen der Betriebsparteien zu ergründen.

Zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat entfaltet eine Betriebsvereinbarung zudem schuldrechtliche Wirkungen. Mit ihrem Abschluss entsteht ein betriebsverfassungsrechtliches Schuldverhältnis. Zu diesem gehört u.a. die gegenseitige Verpflichtung, Maßnahmen zu unterlassen, die der getroffenen Vereinbarung widersprechen. Die Auslegung des schuldrechtlichen Teils folgt derjenigen privatrechtlicher Willenserklärungen. Sie richtet sich nach §§ 133, 157 BGB.
Begrifflich kann zwischen freiwilligen und erzwingbaren Betriebsvereinbarungen unterschieden werden. Eine Betriebsvereinbarung ist immer dann erzwingbar, wenn in der zu regelnden Angelegenheit ein zwingendes Mitbestimmungsrecht besteht. Praktisch wichtigster Fall einer erwzingbaren Regelung sind die Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten gem. § 87 Abs. 1 BetrVG. Aber etwa auch bezüglich der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern gem. § 38 Abs. 2 BetrVG ist eine Regelung erzwingbar. Der wesentliche Unterschied zwischen erzwingbaren und freiwilligen Betriebsvereinbarungen besteht darin, dass erzwingbare Betriebsvereinbarung im Fall einer Kündigung oder des Zeitablaufs gem. § 77 Abs. 6 BetrVG Nachwirkung entfalten.

I. Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung

Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung setzt die eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat voraus. Es müssen zwei übereinstimmende Willenserklärungen der Betriebspartner, namentlich Angebot und Annahme, vorliegen. Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf die Erklärung des Betriebsrats zu legen. Sie kann insbesondere nicht alleine vom Betriebsratsvorsitzten beschlossen werden, sondern setzt einen ordnungsgemäßen Beschluss des Betriebsrats als Gremiums voraus. Möglich ist allerdings die nachträgliche Genehmigung einer durch den Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärung durch Beschluss des Betriebsrats. Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung bedarf zwingend der Schriftform, so dass beide Betriebspartner eigenhändig auf derselben Urkunde unterzeichnen müssen. Eine formunwirksame Betriebsvereinbarung kann allerdings ggf. als formlose Regelungsabrede aufrecht erhalten werden. Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarung gem. § 77 Abs. 2 S. 3 BetrVG an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um eine Ordnungsvorschrift und nicht um eine zwingende Formvorgabe. Ein Verstoß hiergegen führt daher nicht zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung.

II. Was kann in Betriebsvereinbarungen geregelt werden?

Gegenstand von Betriebsvereinbarungen können grundsätzlich alle materiellen und formellen Arbeitsbedingungen sein. Den Betriebsparteien steht insofern eine umfassende Kompetenz zur Regelung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen sowie formeller und materieller Arbeitsbedingungen zu. Auch Regelungen zu Lasten der Arbeitnehmer sind grundsätzlich möglich. Allerdings gilt im Verhältnis zwischen Arbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung das Günstigkeitsprinzip. Für Betriebsvereinbarung gelten insbesondere nicht die Vorgabe des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen. § 310 Abs. 4 S.1 BGB sieht insofern eine Bereichsausnahme vor.

Die Regelungsbefugnis der Betriebspartner unterliegt allerdings auch Grenzen. Sie ist insbesondere an höherrangiges staatliches Recht gebunden und mittelbar an die grundrechtlichen Wertentscheidungen gebunden. Praktische Relevanz haben hier in jüngerer Zeit immer wieder Verstöße gegen das AGG. Die Betriebspartner sind außerdem dann in ihrer Regelungskompetenz eingeschränkt, wenn bereits ein Tarifvertrag über die zu treffenden Regelungen besteht oder die zu regelenden Arbeitsbedingungen üblicherweise in einem Tarifvertrag geregelt werden, § 77 Abs. 3 BetrVG (sog. Tarifvorbehalt - vgl. meinen Post hierzu).

Verstößt eine Betriebsvereinbarung gegen zwingendes Gesetzesrecht, so ist sie regelmäßig gem. § 134 BGB nichtig.

Ein Verzicht der Arbeitnehmer auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung ist nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam, § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG

III. Welchen Anwendungsbereich haben Betriebsvereinbarungen?

Betriebsvereinbarungen finden grundsätzlich in dem Betrieb Anwendung, für den der abschließende Betriebsrat gewählt ist. Sie gilt für alle dort beschäftigten Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG, , selbst wenn der Mitarbeiter erst nach Abschluss der Betriebsvereinbarung eingestellt wurde. Schwieriger ist die Beurteilung der Anwendung einer Betriebsvereinbarung auf bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer. Nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung fehlt den Betriebspartnern im Hinblick auf ausgeschiedene Arbeitnehmer, insbesondere Rentner, die Regelungsbefugnis.

Den Betriebspartnern steht es frei, bestimmte Personengruppen vom Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung auszunehmen.

Ein Betriebsvereinbarung, die vom Gesamtbetriebsrat abgeschlossen wird (Gesamtbetriebsvereinbarung), gilt gem. § 50 Abs. 1 BetrVG für alle Betriebe des Unternehmens.

IV. Wie und wann endet eine Betriebsvereinbarung?

Eine Betriebsvereinbarung kann durch Kündigung, Aufhebungsvereinbarung, Zeitablauf, Erreichen des mit ihr verfolgten Zwecks oder mit dem Wegfall der betrieblichen Organisation als Regelungsgegenstand der Betriebsvereinbarung enden. Eine Betriebsvereinbarung kann zudem durch eine zeitlich nachfolgende Betriebsvereinbarung über ihren Regelungsgegenstand abgelöst werden, sobald diese in Kraft tritt. In diesem Fall gilt nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern das Ablöseprinzip, da es sich um Rechtsquellen von gleichem Rang handelt.
Werden Regelungsgegenstände in einer neuen Betriebsvereinbarung nur teilweise neu vereinbart, bleibt bezüglich der übrigen Regelungen die alte Betriebsvereinbarung in Kraft, sofern die Betriebsparteien nichts anderes vereinbaren.

Regelt die Betriebsvereinbarung einen Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung, enfaltet sie gem. § 77 Abs. 6 BetrVG solange Nachwirkung, bis sie durch eine andere Regelung ersetzt wird. Haben nur Teile der Betriebsvereinbarung zwingend mitbestimmte Regelungen zum Gegenstand, kommt grundsätzlich nur eine Nachwirkung hinsichtlich der Gegenstände in Frage, die der zwingenden Mitbestimmung unterfallen, wenn sie sich sinnvoll in einen nachwirkenden und einen nichtnachwirkenden Teil aufspalten lässt. Ist eine solche Aufspaltung nicht möglich, entfallt die vollständige Betriebsvereinbarung eine Nachwirkung. Bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers, die in einer Betriebsvereinbarung geregelt sind, stellt sich oft die Problematik, dass das "Ob" der Leistungsgewährung sowie ihr Umfang nicht mitbestimmungspflichtig sind, die Modalitäten der Verteilung unter den Arbeitnehmern dagegen aber der Mitbestimmungspflicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegen. In diesem Fall ist zu differenzieren:

  • Wird die Leistung vollständig eingestellt, tritt keine Nachwirkung ein. 
  • Geht es um eine neue Verteilung der Leistung, besteht insgesamt eine Nachwirkung.
  • Sollen sowohl Dotierungsrahmen als auch Verteilungsplan geändert werden, wirkt die gesamte Betriebsvereinbarung nach. 
  • Will der Arbeitgeber lediglich den Dotierungsrahmen verringern, besteht Nachwirkung bezüglich des Verteilungsplans.