Es ist weiter davon auszugehen, dass auch die kommenden regelmäßigen Betriebsratswahlen zwischen März und Mai 2022 ganz im Zeichen der Corona-Pandemie stehen werden. Umso dringlicher wird deshalb die Frage, ob zur Vereinfachung der Wahlbeteiligung und zur Vermeidung der Ansteckungsgefahr im Wahlraum vom Wahlvorstand allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter Verzicht auf eine Stimmabgabe vor Ort von Amts wegen Briefwahlunterlagen übermittelt werden können. So nachvollziehbar der Gedanke - auch im Sinne ein möglichst hohen Wahlbeteiligung trotz Pandemie - sein mag, so wenig Spielraum gibt die Wahlordnung für einen entsprechende Maßnahme des Wahlvorstandes her.
Grundsätzlich differenziert die Wahlordnung zum BetrVG zwischen einer Übermittlung der Briefwahlunterlagen an Wählerinnen und Wähler von Amts wegen oder auf deren Antrag hin. In § 24 Abs. 2 und Abs. 3 WO zählt der Gesetzgeber drei Fallgruppen auf, bei deren Vorliegen den Wahlberechtigten die Briefwahlunterlagen auch ohne entsprechendes Verlangen - also von Amts wegen - zu übermitteln sind:
- Für Wahlberechtigte, die auf Grund der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere im Außendienst, Telearbeit oder Heimarbeit voraussichtlich im Zeitpunkt der Wahl nicht im Betrieb anwesend sein werden (§ 24 Abs. 2 Nr. 1 WO)
- Für Wahlberechtigte, die vom Erlass des Wahlausschreibens bis zum Zeitpunkt der Wahl aus anderen Gründen, insbesondere wegen Ruhen des Arbeitsverhältnisses oder Arbeitsunfähigkeit, voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden.
- Für Wahlberechtigte in räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernte Betriebsteile und Kleinstbetriebe (§ 24 Abs. 3 WO)
Mit dem Erlass der neuen Wahlordnung hat der Gesetzgeber u.a. gerade die zweite Fallgruppe neu eingeführt, weil es nach bisher herrschender Auffassung nicht möglich gewesen ist, z.B. Dauerkranken oder Wahlberechtigten in Elternzeit Briefwahlunterlagen von Amts wegen zukommen zu lassen.
Wahlberechtigte, die von den vorstehend genannten Fallgruppen nicht erfasst sind, erhalten die Briefwahlunterlagen nur auf entsprechendes Verlangen gegenüber dem Wahlvorstand. Die Vorgaben der Wahlordnung sind insofern bindend. Das Bundesarbeitsgericht (BAG v. 27.01.1993 - 7 ABR 37/92) hat bereits im Rahmen einer Aufsichtsratswahl entschieden, dass eine generelle Anordnung von Briefwahl nicht möglich ist. Dem haben sich zahlreiche Landesarbeitsgerichte angeschlossen (z.B. LAG Hamm v. 05.08.2011 - 10 TaBV 13/11 mit weiteren Entscheidungsnachweisen). Ob dies in Zeiten der Corona-Pandemie einzuschränken wäre, ist bisher noch nicht geklärt. Allerdings hätte der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik, bei Erlass der neuen Wahlordnung bereits eine generelle Anordnung der Briefwahl ermöglichen können. Dies hat er entgegen der Rechtslage bei der Personalratswahl nicht getan, sondern lediglich die neue Fallgruppe in § 24 Abs. 2 Nr. 2 WO eingefügt. Somit wäre es höchst riskant, wollte der Wahlvorstand tatsächlich ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 bzw. Abs. 3 WO eine generelle Briefwahl anordnen. Zwar wird dies nicht zu einer Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen. Eine Anfechtung der Wahl wäre aber durchaus zu befürchten.
Wahlvorständen ist auf Grund dessen zu raten, die Voraussetzungen der drei obengenannten Fallgruppen genau zu prüfen. Oft besteht bei konsequenter Anwendung die Möglichkeit, bereits eine große Anzahl der Wahlberechtigten hierunter zu fassen, z.B. bei Wahlberechtigten, die auf Grund der Pandemie dauerhaft von zu Hause / mobil arbeiten und deshalb nicht im Betrieb sind. Auch die Möglichkeit, für räumlich weit entfernte Betriebsteile und Kleinstbetriebe die Briefwahl zu beschließen sollte konsequent genutzt werden. Die räumlich weite Entfernung in diesem Sinne kann bereits bei wenigen Kilometern in Betracht kommen. Auf diese Weise kann erreicht werden, dass jedenfalls der Andrang im Wahlraum in Grenzen gehalten wird und das betriebliche Hygienekonzept einfacher umsetzbar ist. Daneben spricht nichts dagegen, als Wahlvorstand die Belegschaft neben den Ausführungen im Wahlausschreiben noch einmal an verschiedenen Stellen im Betrieb prominent auf die Möglichkeit eines Briefwahlantrags hinzuweisen.