Die Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung

Rechtsanwalt Arbeitsrecht Eltville Gießen Wiesbaden Wetzlar

Stichworte: Sozialauswahl

Arbeitgeber, die eine oder mehrere betriebsbedingte Kündigungen aussprechen wollen, müssen gem. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG eine sog. Sozialauswahl vornehmen. Dort heißt es:

"Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; (...)"

Ziel dieser Regelung ist es, bei unvermeidbaren Kündigungen, aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer, den sozial stärksten Arbeitnehmer ausfindig zu machen, der nach der Prämisse des Gesetzes die Kündigung noch am besten "verkraften" können soll.

Der Arbeitgeber hat daher vor einer betriebsbedingten Kündigung zu ermitteln, welche Arbeitnehmer er in die Sozialauswahl einbeziehen muss. Er hat bei der Sozialauswahl alle vergleichbaren, d.h. austauschbaren Arbeitnehmer einzubeziehen. Geht der Arbeitgeber beispielsweise vom Wegfall eines konkreten Arbeitsplatzes aus, muss er prüfen, ob der betroffenen Arbeitnehmer faktisch die Aufgaben anderer Kollegen wahrnehmen könnte, er also gegen diese ausgetauscht werden könnte. Hierfür ist schon ausreichend, wenn die von den anderen Arbeitnehmern ausgeübten Tätigkeiten zwar nicht gleichartig sind, der Arbeitnehmer diese auf Grund seiner Fähigkeiten und Ausbildung aber ausführen kann. Allerdings muss die andere Tätigkeit gleichwertig sein, also insbesondere auf der gleichen Hierarchieebene angesiedelt sein. 

Weitere Voraussetzung für die Vergleichbarkeit ist zudem, dass der Arbeitgeber den vom Wegfall des Arbeitsplatzes betroffenen Arbeitnehmer kraft seines Direktionsrechts auf den Arbeitsplatz des zu vergleichenden Kollegen versetzten könnte. Dies ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers ausschließlich auf einen konkreten Arbeitsplatz bezogen ist und der Arbeitgeber sich auch nicht die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz vorbehalten hat. Wer als Sachbearbeiter in einer bestimmten Abteilung eingestellt worden ist, ohne dass der Arbeitsvertrag eine Versetzungsmöglichkeit durch den Arbeitgeber in eine andere Abteilung vorsieht, ist daher nicht mit Mitarbeitern der anderen Abteilung vergleichbar.

Arbeitnehmer sind desweiteren auch dann nicht miteinander vergleichbar, wenn einer von ihnen ordentlich unkündbar ist oder Sonderkündigungsschutz genießt, etwa als Betriebsratsmitglied, Wahlbewerber oder Wahlvorstand. Ist für die Kündigung eines Mitarbeiters eine behördliche Zustimmung erforderlich, etwa weil dieser schwerbehindert ist, so ist er nur dann mit in die Sozialauswahl einzubeziehen, wenn die Zustimmung der zuständigen Behörde vorliegt.  Nicht zu berücksichtigen sind zudem Mitarbeiter, die die Wartezeit nach § 1 KSchG noch nicht erfüllt haben. Letztere Mitarbeiter sind grundsätzlich vorrangig zu entlassen.

Gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG kann der Arbeitgeber Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausnehmen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Auf diese Ausnahme sollte der Arbeitgeber sich aber in keinem Fall vorschnell beziehen. Die Anwendungsvoraussetzungen werden von der Rechtsprechung sehr restriktiv ausgelegt. Die betrieblichen Interessen sind nur dann berechtigt, wenn sie dem Betrieb unter Berücksichtigung des Unternehmenszwecks einen nicht unerheblichen Vorteil bringen würden, der bei einer Einbeziehung in die Sozialauswahl nicht zu erreichen wäre. Dies muss der Arbeitgeber in einem gerichtlichen Verfahren detailliert darlegen und ggf. beweisen. 

Die Sozialauswahl bezieht sich grundsätzlich nur auf Mitarbeiter des gleichen Betriebes. Sie ist - im Gegensatz zur Prüfung bestehender Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten - betriebsbezogen. Sie kann daher schon dann fehlerhaft sein, wenn sie sich auf einen Teil des Betriebs beschränkt oder über den Betrieb hinaus ausgeweitet wird.

Hat der Arbeitgeber den Kreis der vergleichbaren Mitarbeiter bestimmt, so muss er nun die in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG genannten Daten Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung erfassen und gegeneinander abwägen. Der Arbeitgeber hat zwar bei der Gewichtung der einzelnen Sozialdaten einen gewissen Beurteilungsspielraum, er darf aber keine anderen als die genannten Daten in die Entscheidung einfließen lassen. Die Aufzählung in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ist abschließend.

Hier empfiehlt es sich, die Abwägung anhand eines von der Rechtsprechung anerkannten Punkteschemas vorzunehmen. Bei einem solchen Punkteschema handelt es sich um eine Auswahlrichtlinie im Sinne des § 95 BetrVG, so dass dieses der Mitbestimmung durch den Betriebsrat unterliegt, sofern ein solcher gebildet ist. Die Vereinbarung einer solchen Richtlinie nach § 95 BetrVG hat aus Arbeitgebersicht den Vorteil, dass die Sozialauswahl in diesem Fall nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werden kann. Wie das BAG in einem aktuellen Urteil vom 24.10.2013 - 6 AZR 854/11 - festgestellt hat, sind die Betriebspartner berechtigt, eine Abweichung von einer Auswahlrichtlinie zu vereinbaren, indem sie einen an sich nach dem Punkteschema sozial schützwürdigeren Arbeitnehmer in eine Namensliste zu einem geschlossenen Interessenausgleich aufnehmen. Dies macht die Sozialauswahl nicht von vorneherein grob fehlerhaft.

Für den Arbeitnehmer sollte in einem Kündigungsschutzprozess in jedem Fall die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl gerügt werden, bieten sich doch für einen Arbeitgeber bei der Vornahme der Sozialauswahl eine Vielzahl von Fehlerquellen.