Änderung von Versorgungszusagen für Versorgungsempfänger durch abändernde Betriebsvereinbarung?

Rechtsanwalt Arbeitsrecht Eltville Gießen

Stichworte: Änderung Versorgungszusage


Die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre sowie der tendenziell erheblich gestiegene Dotierungsrahmen in Systemen der betrieblichen Altersversorgung, veranlassen immer mehr Arbeitgeber dazu, über Eingriffe in ein bestehendes Versorgungssystem nachzudenken.
Hierbei stehen sich primär zwei Gruppen von Begünstigten aus den Versorgungssystemen gegenüber. Zum einen aktive Beschäftigte als ggf. Anwartschaftsberechtigte und die Ruheständler als Versorgungsempfänger. Die juristischen Maßstäbe für Eingriffe in ein Versorgungssystem unterscheiden sich bei diesen beiden Gruppen sehr stark. Im Folgenden soll die Gruppe der Versorgungsempfänger im Mittelpunkt stehen.

1. Kündigung der bestehenden Betriebsvereinbarung

Ordentliche Kündigung

Will der Arbeitgeber die Ablösung eines durch Betriebsvereinbarung geregelten Versorgungssystems auch für die Versorgungsempfänger erreichen, so steht er vor die Frage, wie er dies rechtstechnisch umsetzen kann. Betriebsvereinbarungen sind regelmäßig kündbar. Es liegt daher nahe, die alte Betriebsvereinbarung über das Versorgungssystem zu kündigen und mit dem Betriebsrat eine neue, ablösende Betriebsvereinbarung abzuschließen. Die ordentliche Kündigung einer Betriebsvereinbarung ist grundsätzlich möglich, vgl. § 77 Abs. 5 BetrVG. Ist keine andere Kündigungsfrist vereinbart, gilt gem. § 77 Abs. 5 BetrVG eine Kündigungsfrist von 3 Monaten.

Nachwirkung der Betriebsvereinbarung über das Versorgungssystem?

Eine Betriebsvereinbarung, deren Inhalt sich auf einen Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung bezieht, wirkt gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nach einer Kündigung solange nach, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt wird.
Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung kann der Arbeitgeber zwar frei über das Ob der Gewährung einer Altersversorgung, die Höhe des Dotierungsrahmens, den begünstigten Personenkreis sowie den Durchführungsweg entscheiden. Der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegen dagegen Regelungen über die konkrete Ausgestaltung der Versorgungsregelung, insbesondere im Hinblick auf die Verteilung des Dotierungsrahmens, vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 8 bzw. Nr. 10 BetrVG. Da die Frage des Ob der Leistungsgewährung allerdings mitbestimmungsfrei ist, geht das BAG davon aus, dass Betriebsvereinbarungen über eine betriebliche Altersversorgung regelmäßig keine Nachwirkung entfalten, es sei denn, der Arbeitgeber will die alte Versorgungsregelung durch eine neue ersetzen. 

Besitzstandsschutz

Selbst in den Fällen, in denen keine Nachwirkung eintritt, führt die Rechtsprechung des BAG aber zu einer faktischen Nachwirkung der Betriebsvereinbarung im Hinblick auf unantastbare Besitzstände:
Die auf Grund der Betriebsvereinbarung erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer sind nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gegen Eingriffe geschützt. Rechtsgrundlage dieser unantastbaren Besitzstände, ist dann weiterhin die alte Betriebsvereinbarung.
Wann und in welchem Umfang in erdiente Anwartschaften noch eingegriffen werden kann, ist durch eine ausdifferenzierte Rechtsprechung des BAG in den letzten Jahrzehnten konkretisiert worden. Das BAG geht hierbei davon aus, dass die Gründe für einen zulässigen Eingriff umso gewichtiger sein müssen, je stärker in Besitzstände eingegriffen wird. 

Die Rechtsprechung orientiert sich am sog. Drei-Stufen-Modell. Danach unterliegt ein zum Zeitpunkt der Änderung der Versorgungszusage erdienter Teilbetrag dem stärksten Schutz. Der erdiente Teilbetrag bezeichnet den Betrag, den der Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mitnehmen und im späteren Versorgungsfall verlangen kann bzw. den der Pensionssicherungsverein im Insolvenzfall zu übernehmen hätte. In diesen kann nur im Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) oder einer planwidrigen Überversorgung eingegriffen werden. Geht es um Eingriffe in Zuwachsraten für die Versorgungsbezüge, ist danach zu differenzieren, ob der Arbeitnehmer die Gegenleistung hierfür bereits erbracht hat. In eine erdiente Dynamik darf nur aus trifftigem Grund eingegriffen werden, etwa bei dringenden betrieblichen Bedürfnissen ohne Schmälerung des Gesamtaufwandes oder einer langfristige Substanzgefährdung des Unternehmens. Sind die Zuwachsraten dagegen noch nicht mit der Erbringung einer gewissen Betriebstreue erdient, so ist ein Eingriff aus sachlich-proportionalen Gründen zulässig.

2. Veränderung auch der Versorgungsregelung für Versorgungsempfänger?

Die juristischen Konsequenzen einer ablösenden Betriebsvereinbarung für Versorgungsempfänger sind allerdings hoch umstritten. Ein Versorgungsempfänger ist bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden. Ein Arbeitsverhältnis besteht nicht mehr. Hier stellt sich die grundlegende Frage, ob dem Betriebsrat überhaupt noch eine Regelungskompetenz im Hinblick auf die Versorgungsregelung des ausgeschiedenen Mitarbeiters zukommt. Schließlich ist dieser nicht mehr in den Betrieb eingegliedert und auch nicht mehr an der Wahl des Betriebsrats beteiligt, so dass insofern ein Legitimationsdefizit bestehen könnte.

Entscheidung des Großen Senat des BAG v. 16.03.1956

Der Große Senat hat zunächst in einer grundlegenden Entscheidung vom 16.03.1956 folgenden Leitsatz aufgestellt:

„Eine Betriebsvereinbarung über betriebliche Ruhegelder, die eine Veränderung der betrieblichen Ruhegeldleistungen gegenüber dem bisherigen Stand vorsieht, wirkt nicht hinsichtlich derjenigen früheren Arbeitnehmer, die beim Inkrafttreten der neuen Betriebsvereinbarung bereits im Ruhestand leben und bisher Bezüge nach der früheren Regelung erhielten.“

Der Große Senat ging in seiner Entscheidung davon aus, dass eine Betriebsvereinbarung in ihrem normativen Teil nur Regelungen für die Ordnung und die Rechtsverhältnisse im Betrieb treffen könne. Es hielt damals fest:

„Ist der Arbeitnehmer aber während der Geltungsdauer einer Ruhegeldvereinbarung aus dem Betrieb ausgeschieden und hat er zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Gewährung von Ruhegeld erfüllt, so können die entsprechenden Bestimmungen hinsichtlich seiner Person nicht mehr gegen seinen Willen geändert werden. Mit diesem Augenblick ist auf Grund der betrieblichen Ruhegeldvereinbarung der Anspruch des bisherigen Arbeitnehmers gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber auf Zahlung von Ruhegeld nach den Bestimmungen dieser Ruhegeldvereinbarung existent geworden. Auf Grund der kollektivrechtlichen Regelung der Betriebsvereinbarung hat der ausscheidende Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen der betrieblichen Ruhegeldregelung erfüllt hat, mit seinem Ausscheiden einen individuellen Einzelanspruch gegen den Arbeitgeber erworben, der zwar in der Betriebsvereinbarung wurzelt, aber nunmehr zu einem selbständigen schuldrechtlichen Anspruch geworden ist. Dieser Anspruch besteht nach seinem Sinn und Zweck schlechthin als Daueranspruch auch über die Geltungsdauer der Betriebsvereinbarung hinaus weiter und dauert normalerweise bis zum Tode des Ruhegeldempfängers, gegebenenfalls - z.B. wenn mit dem Ruhegeld eine Witwen- oder Waisenrente verbunden ist - noch darüber hinaus. Eine Beendigung oder Änderung der Betriebsvereinbarung ist auf diese Ansprüche ohne Einfluß.“

Der Große Senat des BAG bemühte in seiner damaligen Entscheidung damit die Fiktion eines schuldrechtlichen Anspruchs, um den Anspruch auf die Versorgungsbezüge quasi in den Ruhestand hinüber zu retten. Dadurch vermied er, dass durch den Legitimationsverlust der Betriebsparteien, der von ihm mit Eintritt in den Ruhestand, angenommen wurde, zum Wegfall der Rechtsgrundlage für die Versorgungsbezüge führte.

Jüngere Entwicklungen

Dieser Rechtsprechung ist das BAG über Jahre hinweg gefolgt. Das Schrifttum hat sich dagegen vielfach kritisch geäußert. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass das BAG auch in früheren Entscheidungen zu Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats über den Kreis der betriebsangehörigen Arbeitnehmer hinausgegangen sei, etwa beim Mitbestimmungsrecht aus § 99 BetrVG im Bezug auf die Eingliederung von leitenden Angestellten.

Im Ergebnis hält aber wohl auch der zuständige Senat des BAG – trotz zwischenzeitlicher Zweifel – an seiner älteren Rechtsprechung fest. In neueren Entscheidungen betont er wiederholt fest, für diese sprächen trotz der Kritik in der Literatur die besseren Argumente.

Praxishinweis:
Sind tatsächlich Eingriffe in ein Versorgungssystem beabsichtigt, sollte auf Basis der Rechtsprechung des BAG zugrundegelegt werden, dass eine ablösende Betriebsvereinbarung keine Wirkung für die Versorgungsempfänger entfaltet. Eingriffe sind bei dieser Personengruppe lediglich im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage über §313 BGB möglich. Hierzu müsste eine sog. Äquivalenzstörung vorliegen. Im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung liegt eine solche Äquivalenzstörung erst dann vor, wenn der ursprüngliche Dotierungsrahmen auf Grund von Änderungen der Rechtslage um mehr als 50 % überschritten wird. Bei der Ermittlung der prozentualen Veränderung  ist auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Belastung im Zeitraum zwischen der Schaffung des Versorgungssystems und dem Zeitpunkt, zu dem eine Anpassung verlangt wird, abzustellen und ein unternehmensbezogener Barwertvergleich durchzuführen.

3. Praktische Konsequenzen

Da nunmehr sehr wahrscheinlich erscheint, dass das BAG auch weiterhin die Regelungskompetenz der Betriebspartner für ausgeschiedene Versorgungsempfänger verneinen wird, muss nach praktischen Wegen gesucht werden, die Arbeitgeber und Betriebsrat ermöglichen, auch bei Versorgungsempfängern Anpassungen vorzunehmen. Über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in die Versorgungsansprüche der Versorgungsempfänger einzugreifen, ist nur in Ausnahmefällen möglich und erfordert einen hohen Begründungsaufwand. Der von der Rechtsprechung des BAG geforderte Barwertvergleich zur Ermittlung der Überschreitung des Dotierungsrahmens, wird ohne versicherungsmathematisches Gutachten nur selten vorgenommen und dargelegt werden können.

Entscheidung des BAG v. 18.09.2012 zur Jeweiligkeitsklausel

Insofern lohnt sich ein Blick auf die Entscheidung des BAG vom 18.9.2012. In ihr weist das BAG zunächst auf seine ständige Rechtsprechung hin, nach der die Betriebspartner nicht berechtigt sind, für ausgeschiedene Arbeitnehmer Rechte und Pflichten zu begründen.
Das Gericht gelangt dann aber über einen Umweg doch zu einer Regelungskompetenz der Betriebspartner. Im Arbeitsvertrag des Klägers fand sich nämlich im Hinblick auf die Alterversorgungsansprüche eine Verweisung auf die „für die Werksangehörigen jeweils geltenden Richtlinien“. Eine solche dynamische Verweisung erstreckt sich nach Auffassung des BAG nicht nur auf die Anwartschaftsphase, sondern auch auf die Rentenbezugsphase. Das BAG hält sodann fest:

„Mit der „Jeweiligkeitsklausel“ haben die Parteien die zudem die Möglichkeit für eine Ablösung auf kollektivvertraglicher Grundlage und damit auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung geschaffen.“

Verweisungen auf die für die betriebliche Altersversorgung beim Arbeitgeber geltenden Bestimmungen sind nach Auffassung des BAG regelmäßig dynamisch und erstrecken sich damit auf die Rentenbezugsphase. Nur so werde die regelmäßig vom Arbeitgeber gewollte einheitliche Anwendung der Regelungen des Versorgungssystems auf alle Betroffenen erreicht.

Praxishinweis:
Für die Praxis der Vertragsgestaltung ist daher die Aufnahme einer solchen Jeweiligkeitsklausel in die Arbeitsverträge anzuraten. Sie erleichtert in Zukunft Änderungen am Versorgungssystem gegenüber Versorgungsempfängern immens.

Rechtsfolgen der Jeweiligkeitsklausel

Ist auf Grund einer vertraglichen Jeweiligkeitsklausel eine Ablösung des Versorgungssystems durch eine zeitlich nachfolgende Betriebsvereinbarung grundsätzlich möglich, so wird die neue Betriebsvereinbarung zwar nicht am Günstigkeitsprinzip gemessen, sie muss aber einer Überprüfung nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes standhalten.
Die Rechtsprechung nimmt insofern eine Abwägung der wechselseitigen Interessen vor. Auch hier gilt – ähnlich der vorstehend genannten Drei-Stufen-Theorie des BAG – je schwerwiegender die Eingriffe in die Versorgungsansprüche sind, desto gewichtiger müssen die Gründe des Arbeitgebers, die zu diesen Eingriffen geführt haben, sein. Eine Rolle spielt deshalb auch an dieser Stelle wieder, ob lediglich Eingriffe in zukünftige Entwicklungen vorgenommen werden, also etwa Steigerungsraten gekürzt werden, oder ob die laufenden Leistungen gekürzt werden.

Praxishinweis:
Im Vergleich zur arbeitsvertraglichen Jeweiligkeitsklausel, ist eine Jeweiligkeitsklausel in einer Betriebsvereinbarung nicht weiterführend. Das BAG ist der Auffassung, dass jede Betriebsvereinbarung unausgesprochen eine Jeweiligkeitsklausel enthält. Es gelte das Zeitkollisionsprinzip. Dies ändert aber nichts am Fehlen der Regelungsmacht der Betriebspartner.

4. Fazit

Es steht derzeit zu erwarten, dass BAG seine Rechtsprechung zur fehlenden Regelungsmacht der Betriebspartner für Versorgungsempfängern nicht ändern wird. Ein Eingriff in laufende Versorgungsleistungen ist daher nur unter sehr hohen Voraussetzungen möglich. Die Gestaltungspraxis sollte hierauf reagieren, indem in Arbeitsverträgen hinsichtlich der Altersversorgung auf die jeweils geltenden Regelungen verwiesen wird. Dies ermöglicht im Ernstfall größere Gestaltungsspielräume bei beabsichtigten Änderungen durch Betriebsvereinbarung.

Rechtsanwalt Dr. Christian Velten - Arbeitsrecht Gießen / Eltville

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