Neue Anforderungen an Nachweis der Arbeitsbedingungen
I. Hintergrund der Gesetzesänderung
Die Bundesregierung hat im April 2022 einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.07.2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union („Arbeitsbedingungsrichtlinie“) auf den Weg gebracht. Die Arbeitsbedingungenrichtlinie verfolgt das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, indem eine transparente und vorhersehbarere Beschäftigung gefördert und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes gewährleistet wird. Der deutsche Gesetzesentwurf beinhaltet vor allem Änderungen des Nachweisgesetzes (NachwG) und geht an einigen Stellen sogar über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus. Der Entwurf wurde am 23.6.2022 ohne Änderungen beschlossen. Die Änderungen im NachwG treten zum 01.08.2022 in Kraft und verursachen einen nicht unerheblichen Handlungs- und Anpassungsbedarf für Arbeitgeber.
II. Änderungen im NachwG
1. Erweiterter Katalog in § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG
Das NachwG verpflichtet Arbeitgeber, wesentliche Bedingungen des Arbeitsverhältnisses sowie deren Änderung aufzuzeichnen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen.
Bislang müssen lediglich die wesentlichen Vertragsbestandteile, etwa Name und Anschrift der Parteien des Arbeitsvertrags, Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses oder die vereinbarte Arbeitszeit, schriftlich niedergelegt werden (vgl. den Katalog in § 2 Abs. 1 NachwG a.F.). Dieser Nachweis konnte und wurde in der Praxis bislang durch einen den Anforderungen genügenden Arbeitsvertrag erfüllt, sodass die Bedeutung des NachwG eher gering war. Der Katalog in § 2 Abs. 1 NachwG soll zukünftig um folgende Punkte ausgeweitet werden, sodass wesentlich mehr Arbeitsbedingungen schriftlich niedergelegt werden müssen:
- Dauer der vereinbarten Probezeit
- Bei befristeten Arbeitsverhältnissen das Enddatum
- Hinsichtlich des Arbeitsortes nicht nur, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden kann, sondern auch alternativ auf eine freie Wahl des Arbeitsortes.
- Die Gehaltsbestandteile sind zukünftig jeweils getrennt anzugeben und es außer auf die Fälligkeit auch auf die Art der Auszahlung hinzuweisen
- Die vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen.
- Die Möglichkeit und Voraussetzungen der Anordnung von Überstunden.
- Die neue Nr. 9 enthält besondere Nachweisverpflichtungen bei Abrufarbeit im Sinne von § 12 TzBfG
- Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildungen.
- Der Name und die Anschrift des Versorgungsträgers, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt.
- Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Kündigungsfristen sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage.
- Ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis u.a. auf die anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen.
- Bei einer Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland sieht die Neufassung des NachwG in § 2 Abs. 2 ebenfalls umfangreiche Pflichten zur Niederschrift vor.
Problematisch ist die Ausweitung des Katalogs v.a. auf den Nachweis bzgl. des einzuhaltenden Verfahrens im Falle einer Kündigung, welcher mindestens das Schriftformerfordernis, die Kündigungsfristen sowie die dreiwöchige Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) umfassen muss (§ 2 Abs. 1 Nr. 14 NachwG n.F.). Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen drei „Mindestangaben“ finden keine Entsprechung in der EU-Richtlinie, die eine Unterrichtung des Arbeitnehmers hinsichtlich des „bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einzuhaltende[n] Verfahren[s], einschließlich der formellen Anforderungen und der Länge der Kündigungsfristen, oder, falls die Kündigungsfristen zum Zeitpunkt der Unterrichtung nicht angegeben werden können, die Modalitäten der Festsetzung der Kündigungsfristen“ erfordert. Die Richtlinie sieht folglich eine weiter gefasst Nachweispflicht vor.
Ob die drei Mindestangaben des deutschen Gesetzesentwurf dem genügen oder ob im Wege europarechtskonformer Auslegung weitere Angaben erforderlich sind, ist unklar. Die Voraussetzungen des deutschen Kündigungsschutzverfahrens sind vielfältig, sodass die „Unterrichtung über das einzuhaltende Verfahren“ etwa auch das Erfordernis der Beteiligung des Betriebsrats oder der Unterrichtung des Schwerbehindertenvertreters umfassen könnte.
Es bleibt damit unklar, wie genau die Unterrichtung der Arbeitnehmer aussehen muss, sodass leider wieder eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht. Zum Teil wird die Aufnahme der Mindestangaben als ausreichend angesehen und darauf verwiesen, dass die Fehleranfälligkeit erhöht wird, desto mehr Angaben aufgenommen werden (vgl. Grimm, https://www.arbrb.de/blog/2022/06/29/bearbeitungshilfe-zur-erteilung-des-arbeitgebernachweises-nach-dem-nachwg-ab-dem-1-8-2022/). Zum anderen wird auf eine evtl. erforderliche richtlinienkonforme Auslegung der deutschen Vorschrift hingewiesen und daher empfohlen, sich eher an der EU-RL zu orientieren (Möller, ArbRAktuell 2022, 299, 300).
Gem. § 2 Abs. 4 S. 2 NachwG n.F. besteht die Möglichkeit, auf gesetzliche Vorschriften zu verweisen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Kündigungsfrist interessant, da so die Regelungen "abgeschrieben" werden müssen. § 7 KSchG soll jedenfalls von dem ordnungsgemäßen oder fehlenden Nachweis der Drei-Wochen-Frist im Arbeitsvertrag unberührt bleiben und findet weiter Anwendung. Eine falsche Information des Arbeitgebers diesbezüglich hat damit auf den ersten Blick keine Auswirkungen auf die Präklusionsfrist. Ob allerdings bei einer unterbliebenen oder falschen Information und darauf basierender Fristversäumnis ggf. ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber in Betracht kommt, bleibt ungewiss.
2. Erweiterter Anwendungsbereich
Bisher galt das Nachweisgesetz in persönlicher Hinsicht nicht für Arbeitnehmer, die nur zur vorrübergehenden Aushilfe von höchstens einem Monat eingestellt waren. Diese Einschränkung soll durch den Gesetzesentwurf aufgehoben werden. Der Gesetzesentwurf geht in diesem Punkt über die Vorgaben der EU-RL hinaus und gilt nunmehr für alle Arbeitnehmer.
3. Verkürzte Fristen
Nach der Neufassung des NachweisG sind Arbeitgeber ab dem 01.08.2022 verpflichtet, auf Verlangen des Arbeitnehmers binnen sieben Kalendertagen die Niederschrift über die Arbeitsbedingungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 -10 NachwG n.F. auszuhändigen, wenn das Arbeitsverhältnis bereits vor dem 01.08.2022 bestanden hat, § 5 NachwG n.F. Diese Frist gilt damit insbesondere zu:
- Name und Anschrift der Vertragsparteien,
- Beginn des Arbeitsverhältnisses
- bei befristeten Arbeitsverhältnissen die Dauer und das Enddatum,
- der Arbeitsort
- die Beschreibung der Tätigkeit,
- die Dauer der Probezeit,
- die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts,
- die Arbeitszeit
- gegebenenfalls besondere Arbeitsbedingungen bei Arbeit auf Abruf nach § 12 TzBfG sowie
- die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden.
Für die Aushändigung der Niederschrift über die übrigen Arbeitsbedingungen des § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG einen Zeitraum von bis zum einem Monat vor.
Die Pflicht entfällt allein dann, wenn eine frühere Information an den Arbeitnehmer bereits allen Anforderungen entspricht (§ 5 S. 2 NachwG n.F.) – was idR nicht der Fall sein dürfte. Arbeitgeber sollten sich daher schon jetzt darauf einstellen, die Nachweise innerhalb der Fristen ab dem 01.08.2022 erteilen zu können, um auf etwaige Verlangen der Arbeitnehmer rechtzeitig reagieren zu können. Künftige Änderungen der Vertragsbedingungen sind dem Arbeitnehmer bereits an dem Tag, an dem sie wirksam sind, schriftlich mitteilen. Bislang bestand dafür eine Frist von einem Monat.
Bei Arbeitsverhältnissen ab dem 01.08.2022 muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer künftig eine Niederschrift mit den wesentlichen Vertragsbestandteilen (Name und Anschrift der Vertragsparteien, die Höhe des Arbeitsentgelts und die vereinbarte Arbeitszeit) bereits am ersten Tag der Arbeitsleistung aushändigen. Die weiteren Angaben aus dem neuen Katalohg des § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG sind innerhalb von 7 Tagen nachzuweisen. Nur in wenigen Ausnahmefällen beträgt die Frist für die Aushändigung des Nachweises noch einen Monat.
4. Schriftform
Für den Nachweis nach dem NachwG ist die elektronische Form ausdrücklich ausgeschlossen (§ 2 Abs. 1 S. 3 NachwG). Nachweise müssen daher weiterhin – entgegen vielfacher Kritik aus der Praxis – in Schriftform erteilt werden. Der fortschreitenden Digitalisierung wird damit nicht Rechnung getragen.
5. Verschärfte Bußgeldregelung
Sollten Arbeitgeber nicht innerhalb der oben genannten Fristen tätig werden, besteht nach § 4 Abs. 1, 2 NachwG n.F. die Möglichkeit zur Verhängung eines Bußgelds von bis zu 2.000 EUR. Ein Bußgeld soll darüberhinaus für eine „nicht richtige“ oder „nicht vollständige“ Aushändigung der Informationen verhängt werden könne.
III. Umsetzung
Bislang war es möglich, die Anforderungen des NachwG durch Aushändigung eines Arbeitsvertrags, der diesen Anforderungen entspricht, zu genügen. Mit der Ausweitung des Katalogs in § 2 Abs. 1 NachwG wurden viele Angaben aufgenommen, die rein deskriptiven Charakter aufweisen – etwa die Angaben zum Kündigungsverfahren –, und gerade keine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber darstellen. Eine rechtliche Bindung an diese Angaben wird von Arbeitgeberseite vielfach nicht gewünscht sein. Es kann sich daher wie von Grimm (https://www.arbrb.de/blog/2022/06/29/bearbeitungshilfe-zur-erteilung-des-arbeitgebernachweises-nach-dem-nachwg-ab-dem-1-8-2022/) empfohlen anbieten, neben dem Arbeitsvertrag ein gesondertes Nachweisschreiben zu erstellen und den Arbeitnehmern auszuhändigen. Durch das Nachweisschreiben als bloße Wissenserklärung wird keine Bindungswirkung für den Arbeitgeber verursacht und die spätere Abänderung vereinfacht. Bei diesem Vorgehen muss jedoch differenziert werden, welche beiderseitigen Vereinbarungen weiterhin in den Arbeitsvertrag gehören und welche nicht. In dem Nachweisschreiben kann dann an den entsprechenden Stellen auf den Arbeitsvertrag verweisen werden. Insgesamt wird zukünftig Vorsicht geboten sein, wenn kein eigenständiger Nachweis erteilt, sondern die Arbeitsbedingungen aus § 2 NachwG in den Arbeitsvertrag einfließen sollen. Es sollte klar und deutlich zwischen vertraglichen Vereinbarungen und reinen Wissenserklärungen und deklaratorischen Hinweisen ohne vertragliche Bindungen unterschieden werden.