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Änderung von Versorgungszusagen für Versorgungsempfänger durch abändernde Betriebsvereinbarung?

Rechtsanwalt Arbeitsrecht Eltville Gießen

Stichworte: Änderung Versorgungszusage


Die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre sowie der tendenziell erheblich gestiegene Dotierungsrahmen in Systemen der betrieblichen Altersversorgung, veranlassen immer mehr Arbeitgeber dazu, über Eingriffe in ein bestehendes Versorgungssystem nachzudenken.
Hierbei stehen sich primär zwei Gruppen von Begünstigten aus den Versorgungssystemen gegenüber. Zum einen aktive Beschäftigte als ggf. Anwartschaftsberechtigte und die Ruheständler als Versorgungsempfänger. Die juristischen Maßstäbe für Eingriffe in ein Versorgungssystem unterscheiden sich bei diesen beiden Gruppen sehr stark. Im Folgenden soll die Gruppe der Versorgungsempfänger im Mittelpunkt stehen.

1. Kündigung der bestehenden Betriebsvereinbarung

Ordentliche Kündigung

Will der Arbeitgeber die Ablösung eines durch Betriebsvereinbarung geregelten Versorgungssystems auch für die Versorgungsempfänger erreichen, so steht er vor die Frage, wie er dies rechtstechnisch umsetzen kann. Betriebsvereinbarungen sind regelmäßig kündbar. Es liegt daher nahe, die alte Betriebsvereinbarung über das Versorgungssystem zu kündigen und mit dem Betriebsrat eine neue, ablösende Betriebsvereinbarung abzuschließen. Die ordentliche Kündigung einer Betriebsvereinbarung ist grundsätzlich möglich, vgl. § 77 Abs. 5 BetrVG. Ist keine andere Kündigungsfrist vereinbart, gilt gem. § 77 Abs. 5 BetrVG eine Kündigungsfrist von 3 Monaten.

Nachwirkung der Betriebsvereinbarung über das Versorgungssystem?

Eine Betriebsvereinbarung, deren Inhalt sich auf einen Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung bezieht, wirkt gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nach einer Kündigung solange nach, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt wird.
Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung kann der Arbeitgeber zwar frei über das Ob der Gewährung einer Altersversorgung, die Höhe des Dotierungsrahmens, den begünstigten Personenkreis sowie den Durchführungsweg entscheiden. Der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegen dagegen Regelungen über die konkrete Ausgestaltung der Versorgungsregelung, insbesondere im Hinblick auf die Verteilung des Dotierungsrahmens, vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 8 bzw. Nr. 10 BetrVG. Da die Frage des Ob der Leistungsgewährung allerdings mitbestimmungsfrei ist, geht das BAG davon aus, dass Betriebsvereinbarungen über eine betriebliche Altersversorgung regelmäßig keine Nachwirkung entfalten, es sei denn, der Arbeitgeber will die alte Versorgungsregelung durch eine neue ersetzen. 

Besitzstandsschutz

Selbst in den Fällen, in denen keine Nachwirkung eintritt, führt die Rechtsprechung des BAG aber zu einer faktischen Nachwirkung der Betriebsvereinbarung im Hinblick auf unantastbare Besitzstände:
Die auf Grund der Betriebsvereinbarung erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer sind nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gegen Eingriffe geschützt. Rechtsgrundlage dieser unantastbaren Besitzstände, ist dann weiterhin die alte Betriebsvereinbarung.
Wann und in welchem Umfang in erdiente Anwartschaften noch eingegriffen werden kann, ist durch eine ausdifferenzierte Rechtsprechung des BAG in den letzten Jahrzehnten konkretisiert worden. Das BAG geht hierbei davon aus, dass die Gründe für einen zulässigen Eingriff umso gewichtiger sein müssen, je stärker in Besitzstände eingegriffen wird. 

Die Rechtsprechung orientiert sich am sog. Drei-Stufen-Modell. Danach unterliegt ein zum Zeitpunkt der Änderung der Versorgungszusage erdienter Teilbetrag dem stärksten Schutz. Der erdiente Teilbetrag bezeichnet den Betrag, den der Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mitnehmen und im späteren Versorgungsfall verlangen kann bzw. den der Pensionssicherungsverein im Insolvenzfall zu übernehmen hätte. In diesen kann nur im Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) oder einer planwidrigen Überversorgung eingegriffen werden. Geht es um Eingriffe in Zuwachsraten für die Versorgungsbezüge, ist danach zu differenzieren, ob der Arbeitnehmer die Gegenleistung hierfür bereits erbracht hat. In eine erdiente Dynamik darf nur aus trifftigem Grund eingegriffen werden, etwa bei dringenden betrieblichen Bedürfnissen ohne Schmälerung des Gesamtaufwandes oder einer langfristige Substanzgefährdung des Unternehmens. Sind die Zuwachsraten dagegen noch nicht mit der Erbringung einer gewissen Betriebstreue erdient, so ist ein Eingriff aus sachlich-proportionalen Gründen zulässig.

2. Veränderung auch der Versorgungsregelung für Versorgungsempfänger?

Die juristischen Konsequenzen einer ablösenden Betriebsvereinbarung für Versorgungsempfänger sind allerdings hoch umstritten. Ein Versorgungsempfänger ist bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden. Ein Arbeitsverhältnis besteht nicht mehr. Hier stellt sich die grundlegende Frage, ob dem Betriebsrat überhaupt noch eine Regelungskompetenz im Hinblick auf die Versorgungsregelung des ausgeschiedenen Mitarbeiters zukommt. Schließlich ist dieser nicht mehr in den Betrieb eingegliedert und auch nicht mehr an der Wahl des Betriebsrats beteiligt, so dass insofern ein Legitimationsdefizit bestehen könnte.

Entscheidung des Großen Senat des BAG v. 16.03.1956

Der Große Senat hat zunächst in einer grundlegenden Entscheidung vom 16.03.1956 folgenden Leitsatz aufgestellt:

„Eine Betriebsvereinbarung über betriebliche Ruhegelder, die eine Veränderung der betrieblichen Ruhegeldleistungen gegenüber dem bisherigen Stand vorsieht, wirkt nicht hinsichtlich derjenigen früheren Arbeitnehmer, die beim Inkrafttreten der neuen Betriebsvereinbarung bereits im Ruhestand leben und bisher Bezüge nach der früheren Regelung erhielten.“

Der Große Senat ging in seiner Entscheidung davon aus, dass eine Betriebsvereinbarung in ihrem normativen Teil nur Regelungen für die Ordnung und die Rechtsverhältnisse im Betrieb treffen könne. Es hielt damals fest:

„Ist der Arbeitnehmer aber während der Geltungsdauer einer Ruhegeldvereinbarung aus dem Betrieb ausgeschieden und hat er zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Gewährung von Ruhegeld erfüllt, so können die entsprechenden Bestimmungen hinsichtlich seiner Person nicht mehr gegen seinen Willen geändert werden. Mit diesem Augenblick ist auf Grund der betrieblichen Ruhegeldvereinbarung der Anspruch des bisherigen Arbeitnehmers gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber auf Zahlung von Ruhegeld nach den Bestimmungen dieser Ruhegeldvereinbarung existent geworden. Auf Grund der kollektivrechtlichen Regelung der Betriebsvereinbarung hat der ausscheidende Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen der betrieblichen Ruhegeldregelung erfüllt hat, mit seinem Ausscheiden einen individuellen Einzelanspruch gegen den Arbeitgeber erworben, der zwar in der Betriebsvereinbarung wurzelt, aber nunmehr zu einem selbständigen schuldrechtlichen Anspruch geworden ist. Dieser Anspruch besteht nach seinem Sinn und Zweck schlechthin als Daueranspruch auch über die Geltungsdauer der Betriebsvereinbarung hinaus weiter und dauert normalerweise bis zum Tode des Ruhegeldempfängers, gegebenenfalls - z.B. wenn mit dem Ruhegeld eine Witwen- oder Waisenrente verbunden ist - noch darüber hinaus. Eine Beendigung oder Änderung der Betriebsvereinbarung ist auf diese Ansprüche ohne Einfluß.“

Der Große Senat des BAG bemühte in seiner damaligen Entscheidung damit die Fiktion eines schuldrechtlichen Anspruchs, um den Anspruch auf die Versorgungsbezüge quasi in den Ruhestand hinüber zu retten. Dadurch vermied er, dass durch den Legitimationsverlust der Betriebsparteien, der von ihm mit Eintritt in den Ruhestand, angenommen wurde, zum Wegfall der Rechtsgrundlage für die Versorgungsbezüge führte.

Jüngere Entwicklungen

Dieser Rechtsprechung ist das BAG über Jahre hinweg gefolgt. Das Schrifttum hat sich dagegen vielfach kritisch geäußert. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass das BAG auch in früheren Entscheidungen zu Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats über den Kreis der betriebsangehörigen Arbeitnehmer hinausgegangen sei, etwa beim Mitbestimmungsrecht aus § 99 BetrVG im Bezug auf die Eingliederung von leitenden Angestellten.

Im Ergebnis hält aber wohl auch der zuständige Senat des BAG – trotz zwischenzeitlicher Zweifel – an seiner älteren Rechtsprechung fest. In neueren Entscheidungen betont er wiederholt fest, für diese sprächen trotz der Kritik in der Literatur die besseren Argumente.

Praxishinweis:
Sind tatsächlich Eingriffe in ein Versorgungssystem beabsichtigt, sollte auf Basis der Rechtsprechung des BAG zugrundegelegt werden, dass eine ablösende Betriebsvereinbarung keine Wirkung für die Versorgungsempfänger entfaltet. Eingriffe sind bei dieser Personengruppe lediglich im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage über §313 BGB möglich. Hierzu müsste eine sog. Äquivalenzstörung vorliegen. Im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung liegt eine solche Äquivalenzstörung erst dann vor, wenn der ursprüngliche Dotierungsrahmen auf Grund von Änderungen der Rechtslage um mehr als 50 % überschritten wird. Bei der Ermittlung der prozentualen Veränderung  ist auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Belastung im Zeitraum zwischen der Schaffung des Versorgungssystems und dem Zeitpunkt, zu dem eine Anpassung verlangt wird, abzustellen und ein unternehmensbezogener Barwertvergleich durchzuführen.

3. Praktische Konsequenzen

Da nunmehr sehr wahrscheinlich erscheint, dass das BAG auch weiterhin die Regelungskompetenz der Betriebspartner für ausgeschiedene Versorgungsempfänger verneinen wird, muss nach praktischen Wegen gesucht werden, die Arbeitgeber und Betriebsrat ermöglichen, auch bei Versorgungsempfängern Anpassungen vorzunehmen. Über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in die Versorgungsansprüche der Versorgungsempfänger einzugreifen, ist nur in Ausnahmefällen möglich und erfordert einen hohen Begründungsaufwand. Der von der Rechtsprechung des BAG geforderte Barwertvergleich zur Ermittlung der Überschreitung des Dotierungsrahmens, wird ohne versicherungsmathematisches Gutachten nur selten vorgenommen und dargelegt werden können.

Entscheidung des BAG v. 18.09.2012 zur Jeweiligkeitsklausel

Insofern lohnt sich ein Blick auf die Entscheidung des BAG vom 18.9.2012. In ihr weist das BAG zunächst auf seine ständige Rechtsprechung hin, nach der die Betriebspartner nicht berechtigt sind, für ausgeschiedene Arbeitnehmer Rechte und Pflichten zu begründen.
Das Gericht gelangt dann aber über einen Umweg doch zu einer Regelungskompetenz der Betriebspartner. Im Arbeitsvertrag des Klägers fand sich nämlich im Hinblick auf die Alterversorgungsansprüche eine Verweisung auf die „für die Werksangehörigen jeweils geltenden Richtlinien“. Eine solche dynamische Verweisung erstreckt sich nach Auffassung des BAG nicht nur auf die Anwartschaftsphase, sondern auch auf die Rentenbezugsphase. Das BAG hält sodann fest:

„Mit der „Jeweiligkeitsklausel“ haben die Parteien die zudem die Möglichkeit für eine Ablösung auf kollektivvertraglicher Grundlage und damit auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung geschaffen.“

Verweisungen auf die für die betriebliche Altersversorgung beim Arbeitgeber geltenden Bestimmungen sind nach Auffassung des BAG regelmäßig dynamisch und erstrecken sich damit auf die Rentenbezugsphase. Nur so werde die regelmäßig vom Arbeitgeber gewollte einheitliche Anwendung der Regelungen des Versorgungssystems auf alle Betroffenen erreicht.

Praxishinweis:
Für die Praxis der Vertragsgestaltung ist daher die Aufnahme einer solchen Jeweiligkeitsklausel in die Arbeitsverträge anzuraten. Sie erleichtert in Zukunft Änderungen am Versorgungssystem gegenüber Versorgungsempfängern immens.

Rechtsfolgen der Jeweiligkeitsklausel

Ist auf Grund einer vertraglichen Jeweiligkeitsklausel eine Ablösung des Versorgungssystems durch eine zeitlich nachfolgende Betriebsvereinbarung grundsätzlich möglich, so wird die neue Betriebsvereinbarung zwar nicht am Günstigkeitsprinzip gemessen, sie muss aber einer Überprüfung nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes standhalten.
Die Rechtsprechung nimmt insofern eine Abwägung der wechselseitigen Interessen vor. Auch hier gilt – ähnlich der vorstehend genannten Drei-Stufen-Theorie des BAG – je schwerwiegender die Eingriffe in die Versorgungsansprüche sind, desto gewichtiger müssen die Gründe des Arbeitgebers, die zu diesen Eingriffen geführt haben, sein. Eine Rolle spielt deshalb auch an dieser Stelle wieder, ob lediglich Eingriffe in zukünftige Entwicklungen vorgenommen werden, also etwa Steigerungsraten gekürzt werden, oder ob die laufenden Leistungen gekürzt werden.

Praxishinweis:
Im Vergleich zur arbeitsvertraglichen Jeweiligkeitsklausel, ist eine Jeweiligkeitsklausel in einer Betriebsvereinbarung nicht weiterführend. Das BAG ist der Auffassung, dass jede Betriebsvereinbarung unausgesprochen eine Jeweiligkeitsklausel enthält. Es gelte das Zeitkollisionsprinzip. Dies ändert aber nichts am Fehlen der Regelungsmacht der Betriebspartner.

4. Fazit

Es steht derzeit zu erwarten, dass BAG seine Rechtsprechung zur fehlenden Regelungsmacht der Betriebspartner für Versorgungsempfängern nicht ändern wird. Ein Eingriff in laufende Versorgungsleistungen ist daher nur unter sehr hohen Voraussetzungen möglich. Die Gestaltungspraxis sollte hierauf reagieren, indem in Arbeitsverträgen hinsichtlich der Altersversorgung auf die jeweils geltenden Regelungen verwiesen wird. Dies ermöglicht im Ernstfall größere Gestaltungsspielräume bei beabsichtigten Änderungen durch Betriebsvereinbarung.

Rechtsanwalt Dr. Christian Velten - Arbeitsrecht Gießen / Eltville

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Die Frage nach der Schwerbehinderung

Rechtsanwalt Arbeitsrecht Eltville Gießen

Stichworte: Fragerecht Schwerbehinderung

Bereits seit vielen Jahren wird die Zulässigkeit einer Frage des Arbeitgebers nach einer bestehenden Schwerbehinderung eines Bewerbers oder Arbeitnehmers kontrovers diskutiert.

Noch in den 90er Jahren wurde auch vom BAG die Frage nach einer Schwerbehinderung für grundsätzlich zulässig erachtet. Erst nach der Einführung des § 81 II SGB IX, der eine Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung ausdrücklich verbietet, wurde die Frage nach der Schwerbehinderung überwiegend  für grundsätzlich unzulässig erachtet. Insoweit hat auch das AGG im Jahr 2007 keine bedeutenden Neuerungen gebracht. Im Rahmen von Bewerbungsgesprächen und Bewerbungsfragebögen führt die Frage nach der Schwerbehinderung zum einen dazu, dass der Arbeitgeber ein Indiz für eine Diskriminierung im Sinne des § 22 AGG schafft. Zum anderen ist der Bewerber nicht verpflichtet, die Frage wahrheitsgemäß zu beantworten. Verschweigt er eine bestehende Schwerbehinderung, so berechtigt dies den Arbeitgeber nicht zur Anfechtung des in der Folge geschlossenen Arbeitsvertrages.

Nicht zu verkennen ist allerdings, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran haben kann, nach einer Schwerbehinderung zu fragen. Eine Diskriminierung wäre etwa dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alleine deshalb nach dem Bestehen einer Schwerbehinderung fragt, weil er den Arbeitsplatz mit einem Schwerbehinderten besetzen möchte. Hierbei würde es sich um eine positive Maßnahme im Sinne von § 5 AGG handeln, die dazu dienen soll, eine bestehende Benachteiligung auszugleichen oder abzumildern.

Ist ein Mitarbeiter bereits eingestellt worden, ist die Frage nach dem Bestehen einer Schwerbehinderung jedenfalls dann zulässig, wenn das Arbeitsverhältnis bereits länger als sechs Monate besteht. Ab diesem Zeitpunkt hat der schwerbehinderte Mitarbeiter den Sonderkündigungsschutz nach § 85ff. SGB IX. Dies gilt nach Auffassung des BAG (Urt. 16.02.2012 - 6 AZR 553/10) insbesondere dann, wenn die Frage zur Vorbereitung einer Sozialauswahl im Rahmen eines Personalabbaus gestellt wird. Beantwortet der Arbeitnehmer in diesem Fall die Frage nach der Schwerbehinderung wahrheitswidrig mit "Nein", kann er sich in einem späteren Kündigungsschutzprozess nicht mit Erfolg darauf berufen, die Sozialauswahl sei fehlerhaft, weil seine Schwerbehinderung nicht berücksichtigt worden sei. Hierin liegt ein unbeachtliches widersprüchliches Verhalten des Arbeitnehmers.

Auch datenschutzrechtliche Bedenken griffen im von BAG (a.a.O) entschiedenen Fall nicht durch.
Die Datenerhebung war gem. § 28 VI Nr. 3 BDSG zulässig, da sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich war und kein Grund zur Annahme bestand, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen einem Ausschluss der Datenerhebung überwogen haben könnte. § 28 VI Nr. 3 BDSG umfasse gerade auch den Fall, dass die Datenerhebung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des Arbeitgebers Rechnung zu tragen. Hier ging es dem Arbeitgeber insbesondere darum, seine gesetzlichen Pflichten gegenüber Schwerbehinderten zu erfüllen.
 

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Der Sonderkündigungsschutz von Schwangeren

Rechtsanwalt Arbeitsrecht Eltville Gießen

Stichworte: Sonderkündigungsschutz Schwangerschaft

Auch außerhalb des KSchG kennt das Arbeitsrecht besondere Schutzvorschriften, die eine Kündigung besonderer Personengruppen erschweren oder ausschließen. Hierzu gehört der besondere Schutz Schwangerer.

Schwangere genießen von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ablauf von 4 Wochen nach der Entbindung Sonderkündigungsschutz. § 9 I MuSchG bestimmt, dass eine Kündigung während dieses Zeitraums unzulässig ist, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder die Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Diese Regelung geht auf die Europäische Richtline zum Mutterschutz 92/85/EWG zurück. Sie trägt der besonderen Situation der werdenden Mutter Rechnung, die insbesondere vor den Belastungen eines Kündigungsschutzprozesses geschützt werden und deren Erwerbsgrundlage erhalten bleiben soll.

Voraussetzung für das Entstehen des Sonderkündigungsschutzes ist, dass die Arbeitnehmerin im Zeitpunkt der Kündigung schwanger war. Die Rechtsprechung hilft sich bei der Feststellung des Beginns der Schwangerschaft mit einem Kunstgriff: Ausgehend vom ärztlich prognostizierten Entbindungstag rechnet sie 280 Tage zurück und legt den sich ergebenden Tag zu Grunde. Führt die Schwangerschaft - aus welchen Gründen auch immer, etwa einem nicht medizinisch-indizierten Schwangerschaftsabbruch - nicht zu einer Entbindung, entfällt der Sonderkündigungsschutz. 

Erforderlich ist weiterhin grundsätzlich die positive Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwangerschaft. Hierzu kann es schon genügen, wenn die Schwangerschaft äußerlich erkennbar war oder der Arbeitgeber über Dritte Kenntnis erlangt hat. Nachforschungspflichten treffen den Arbeitgeber dagegen nicht. Nachforschungen könnten für den Arbeitgeber auch deshalb risikobehaftet sein, als er sich dem Verdacht einer (beabsichtigten) Diskriminierung aussetzen könnte.

Weiß der Arbeitgeber, dass die Arbeitnehmerin schwanger ist, ist die Kündigung grundsätzlich unzulässig. Kündigt ein Arbeitgeber dagegen einer schwangeren Arbeitnehmerin, weil er nicht weiß, dass sie schwanger ist, muss die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber binnen zwei Wochen mitteilen, dass sie schwanger ist und zum Zeitpunkt der Kündigung bereits schwanger war. Durch diese nachträgliche Mitteilung wird die Kündigung unwirksam. Erfolgt die Mitteilung nicht fristgerecht, hat die Arbeitnehmerin nur dann Sonderkündigungsschutz, wenn die Fristversäumung auf einem von ihr nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird. Dies wäre etwa der Fall, wenn die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt der Kündigung gar nicht weiß, dass sie schwanger ist.

Aus der Mitteilung durch die Arbeitnehmerin muss für den Arbeitgeber erkennbar hervorgehen, dass die Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung bestanden hat. Problematisch kann dies sein, wenn die Arbeitnehmerin lediglich mitteilt, sie sei schwanger. Hier ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der Erklärung auch entnommen werden kann, dass die Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung bestand. Dies dürfte etwa der Fall sein, wenn die Arbeitnehmerin mitteilt, sie sei schwanger und die Kündigung deshalb unwirksam, da sie Sonderkündigungsschutz genieße.

Hat die Arbeitnehmerin Sonderkündigungsschutz nach § 9 I MuSchG kann eine Kündigung ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn sie auf Antrag des Arbeitgebers von der zuständigen obersten Landesbehörde für zulässig erklärt worden ist. Eine solche Zulässigkeitserklärung wird allerdings nur in seltenen Fällen in Betracht kommen. Denkbar wäre dies allenfalls bei Betriebsschließungen oder schweren Straftaten der Arbeitnehmerin. Wird die Kündigung ausnahmsweise einmal für zulässig erklärt, so muss sie schriftlich erfolgen und die Kündigungsgründe bezeichnen.

Will eine schwangere Arbeitnehmerin die Unwirksamkeit der Kündigung wegen ihres Sonderkündigungsschutzes geltend machen, so muss sie innerhalb von drei Wochen gem. §§ 4, 7 KSchG Kündigsschutzklage erheben. Ansonsten gilt die Kündigung als wirksam.
Eine Ausnahmeregelung enthält lediglich § 4 S.4 KSchG. Danach beginnt die Klagefrist, soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer zu laufen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Zustimmung bei der Behörde auf tatsächlich beantragt wurde. Kündigt also etwa der Arbeitgeber in Unkenntnis der Schwangerschaft - konsequenterweise ohne eine Zustimmung eingeholt zu haben - läuft die reguläre 3-Wochen-Frist.

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Die Weltanschauung als verpöntes Merkmal iSd AGG

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Stichworte: Weltanschauung AGG

Während die Religion im Sinne des § 1 AGG durch ihren transzendenten Bezug charakterisiert wird, ist das Merkmal der Weltanschauung deutlich schwieriger zu fassen. Beiden Begriffen gemein ist, dass es sich um eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und dem Ziel des menschlichen Daseins handelt. Bei der Weltanschauung fehlt allerdings der den Religionsbegriff prägende transzendente Bezug. Sie ist vielmehr auf innerweltliche Bezüge beschränkt, muss sich aber am Anspruch einer Religion messen lassen. Zu unterscheiden ist die Weltanschauung daher von einer politischen Einstellung. Ob und inwieweit letztere unter den Begriff der Weltanschauung fällt, ist noch nicht abschließend geklärt, dürfte aber grundsätzlich zweifelhaft sein.

Nicht als Weltanschauungen anzusehen sind jedenfalls persönliche Einstellungen, Sympathien oder Haltungen. In einer aktuellen Entscheidung hat das BAG daher die Entschädigungsklage einer Journalistin abgewiesen, die sich darauf berief, ihr Vertrag mit der beklagten Rundfunkanstalt sei deshalb nicht verlängert worden, weil diese ihr eine zu regierungsfreundliche Haltung gegenüber der Volksrepublik China, über die sie berichtet hatte, unterstellt habe (BAG, Urt. v. 20.06.2013 - 8 AZR 482/12, Pressemitteilung unter www.bundesarbeitsgericht.de).

 Auch Scientology stellt keine Weltanschauung in diesem Sinne dar.

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Bestimmtheit einer Kündigung und Kündigungsfrist

Rechtsanwalt Arbeitsrecht Eltville Gießen

Stichworte: Kündigung Bestimmtheit

Eine Kündigungserklärung muss als Willenserklärung dem Bestimmtheitserfordernis genügen. Dies kann insbesondere im Zusammenhang mit der Berechnung der richtigen Frist für eine ordentliche Kündigung zu Problemen führen. Hier sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden:

Erklärt der Arbeitgeber die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zu einem konkreten Termin, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt, so ist dem Bestimmtheitserfordernis genüge getan. Erweist sich der errechnete Termin als unzutreffend, so wird aus der Erklärung deutlich, dass der Arbeitgeber in jedem Fall die Kündigung zum nächst zulässigen Zeitpunkt erklären will. Die Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist muss der Arbeitnehmer nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung mit der Kündigungsschutzklage angreifen, es sei denn, er will darüber hinaus die Sozialwidrigkeit der Kündigung rügen.

Oft liegt der Fall aber auch anders: Der Arbeitgeber erklärt die ordentliche Kündigung zu einem bestimmten Termin, der, wie sich herausstellt, falsch berechnet ist. Hier ist die Erklärung des Arbeitgebers auszulegen. Ergibt sich dabei, dass der Arbeitgeber in jedem Fall eine Kündigung wollte - egal zu welchem Zeitpunkt, so ist seine Erklärung als Kündigung zum nächst zulässigen Termin zu werten. Auch hier muss der Arbeitnehmer nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist Kündigungsschutzklage erheben, um die unzutreffende Fristberechnung zu rügen.

Wollte der Arbeitgeber dagegen eine Kündigung zum genannten Termin oder gar keine Kündigung - steht und fällt für ihn die Kündigung also mit der berechneten Frist - so liegt bei einer falschen Fristberechnung gar keine Kündigungserklärung vor. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erheben, wenn er die Unwirksamkeit der Kündigung geltend machen will.

 Enthält die Kündigungserklärung des Arbeitgebers gar keinen Beendigungstermin, sondern wird die Kündigung zum nächst zulässigen Zeitpunkt unter Verweis auf die gesetzlichen Kündigungsfristen ausgesprochen, liegt nach Auffassung des BAG kein Verstoß gegen das Bestimmtheitserfordernis vor (Urt. v. 20.06.2013 – 6 AZR 805/11; Pressemitteilung unter www.bundesarbeitsgericht.de

Kündigungsschutzrecht: Vorsicht bei der Prüfung von Überweisungsbelegen!

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Stichworte: Kündigungsschutz

Das LAG Hessen hatte sich jüngst mit der Kündigung einer Bankangestellten zu beschäftigen, die bei der Überprüfung von Überweisungsbelegen einen  - äußerst untypischen - Überweisungsbetrag übersehen hatte:

Ein Kollege der Kläger war offenbar bei der Bearbeitung eines Überweisungsauftrages kurz eingenickt und auf die Taste "2" geraten, so dass als Überweisungsbetrag anstatt 62,40 € 222.222.222,22 € eingegeben wurden. Der Klägerin fiel dies bei der Kontrolle des Überweisungsauftrages nicht auf. Der Fehler konnte allerdings noch rechtzeitig korrigiert werden. Da bei einer nachfolgenden Kontrolle auffiel, dass die Klägerin teilweise mehrere hundert Überweisungsbelege innerhalb weniger Sekunden überprüft haben wollte, warf der Arbeitgeber ihr vorsätzliche Täuschung über ihre Arbeitsleistung vor und kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich aus verhaltensbedingten Gründen.

Gegen die Kündigung setzte sich die Arbeitnehmerin erfolgreich zur Wehr. Ein solcher zwar gravierender aber einmaliger Fehler der Klägerin rechtfertige bei einer langjährigen Mitarbeiterin keine verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige Abmahnung. Insofern fehlte es an der negativen Zukunftsprognose. Eine vorsätzliche Täuschung über die Arbeitsleistung konnnte der Klägerin nicht nachgewiesen werden.

Auch der vermeintliche "Rettungsanker" des Arbeitgebers, der Auflösungsantrag nach § 9 KSchG scheiterte im entschiedenen Fall.
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